In Kooperation mit manager Rückzug internationaler Fachkräfte

"Dass wir Deutschland verlassen, macht mich traurig"

Mieten, die unbezahlbar sind. Ausbildungen, die nicht anerkannt werden. Kolleginnen, denen man nichts recht machen kann. Internationale Fachkräfte erzählen, warum sie Deutschland verlassen - oder sich abgeschreckt fühlen.

08.09.2023, 18.46 Uhr

Internationale Nachwuchskräfte: "Wir würden hier gern bleiben. Trotzdem packe ich gerade unsere Umzugskisten" Fotos: Katie Thompson; privat (3x)

"Wir sind seit etwa sechs Jahren in Deutschland und würden hier gern bleiben. Trotzdem packe ich gerade unsere Umzugskisten. Es geht nicht anders. Eigentlich wollte ich in München längst als staatlich anerkannte Sozialpädagogin arbeiten. Aber trotz meiner Ausbildung und meiner jahrelangen Berufserfahrung darf ich diesen Beruf in Deutschland noch nicht ausüben.

Foto: Privat

Sozialarbeiterin Irene Calle Rosa, 34,
aus Spanien scheiterte an der Anerkennung ihrer Ausbildung in Deutschland.

Meinen Masterabschluss habe ich in Dänemark und Finnland gemacht, er wird von den deutschen Behörden nur teilweise anerkannt. Ich kann das nachvollziehen, schließlich gibt es in Deutschland schon einige Besonderheiten, die man beachten muss: Recht, Verwaltung, Steuern, solche Sachen. Also habe ich ein Brückenseminar an einer deutschen Uni absolviert - und einen Sprachkurs habe ich natürlich auch gemacht. Aber jetzt fehlt mir noch ein Praktikum, das man nur in Vollzeit absolvieren kann, und ich weiß nicht, wie ich das schaffen soll.

Meine jüngste Tochter ist zehn Monate alt, ihre große Schwester ist viereinhalb. Mein Mann arbeitet in Vollzeit, wir brauchen einen Kita- und einen Krippenplatz für die Kinder. Aber die Betreuungssituation ist eine Katastrophe. Wir sind umgezogen, um endlich einen Kitaplatz für meine älteste Tochter zu finden. Jede Woche habe ich bei der Elternberatung angerufen, habe unzählige Mails an Kitas und Tagesmütter verschickt. Da ich keinen Job habe, stehe ich weit hinten auf der Warteliste - aber wie soll ich ohne Kinderbetreuung eine Arbeit finden? Vom Geld ganz zu schweigen: Mein Praktikumsgehalt würde kaum reichen, um eine Tagesmutter zu bezahlen.

Dazu kommen die hohen Mieten. Mein Mann arbeitet als Informatiker, er verdient ziemlich gut. Aber unsere Wohnung ist sehr teuer. Wir haben eine Staffelmiete, und obendrein hat unser Vermieter die Nebenkosten um 300 Euro erhöht. 2000 Euro im Monat sind für uns einfach zu viel.

Wir haben uns den Abschied nicht leicht gemacht. Ich mag München sehr. Meine Älteste kann vor unserer Haustür mit dem Fahrrad fahren. Und das Klima ist auch toll. Wir würden gern bleiben, aber jetzt ziehen wir nach Las Palmas. Dort sind die Mieten günstiger, und die Kinderbetreuung ist auch kein Problem.

Dass wir Deutschland verlassen, macht mich traurig. Aber ich will einfach nicht noch länger warten, bis ich endlich wieder arbeiten kann."

Protokoll: Michael Brächer


Foto: Privat

Konzern-Fachkraft Juventino Sanchez, 46,
aus Mexiko kam 2021 nach Deutschland – und beendete seinen Vertrag vorzeitig.

"In meiner Heimat fahre ich schon seit Jahrzehnten unfallfrei Auto, in Hessen bin ich zweimal durch die praktische Prüfung gefallen und weiß noch immer nicht ganz genau, warum. Mexikanische Führerscheine sind in Deutschland erstmal nur sechs Monate gültig, dann muss man nochmal zur Fahrprüfung. Dafür habe ich sogar Verständnis, denn in Mexiko braucht man nicht unbedingt eine Fahrschule, um den Führerschein zu machen. Ich habe das Autofahren von meinen Eltern gelernt.

Schade finde ich aber, dass sich in der deutschen Fahrschule niemand richtig Zeit nimmt für die Schüler. Ich hatte den Eindruck, die Fahrlehrer sind völlig überlastet. Nach zwei Fahrstunden wurde ich schon zur Prüfung geschickt. Da hätte ich mir eine bessere Vorbereitung gewünscht. Einen dritten Versuch werde ich nicht unternehmen.

"Insgesamt scheint mir das Leben in Mexiko fröhlicher und unbeschwerter, obwohl wir natürlich auch viele Probleme haben, zum Beispiel mit der Kriminalität."
Juventino Sanchez

Ich hatte in Deutschland einen Arbeitsvertrag für vier Jahre bei einem internationalen Konzern. Aber ich habe mich so gestresst und unglücklich gefühlt, dass wir schon nach eineinhalb Jahren wieder zurück sind nach Mexiko. Mit der Mentalität der Kolleginnen und Kollegen bin ich einfach nicht klargekommen. Ich hatte das Gefühl, ihnen nichts rechtmachen zu können und fand die Art, wie mit mir geredet wurde, sehr unhöflich. Eine Kollegin war freundlicher, aber als ich sie zum Grillen einladen wollte, meinte sie, das sei zeitlich schwierig, sie habe schon so viele private Termine, in zwei Monaten vielleicht. Das Treffen kam nie zustande.

Ein interkulturelles Training hat mir geholfen, das Verhalten der Deutschen besser einzuordnen zu können - aber zu diesem Zeitpunkt war der Umzug zurück nach Mexiko schon organisiert. Ich habe vieles persönlich genommen, was wohl nicht so gemeint war. Insgesamt scheint mir das Leben in Mexiko fröhlicher und unbeschwerter, obwohl wir natürlich auch viele Probleme haben, zum Beispiel mit der Kriminalität.

In Deutschland war meine 16-jährige Tochter abends noch allein unterwegs, das wäre in Mexico City undenkbar. Sie war deshalb auch wütend auf mich, als klar war, dass wir vorzeitig wegziehen. An der internationalen Schule hatte es ihr gut gefallen. Auch ich mochte die kleine Stadt, all die hübschen Gebäude, die Straßenbahn, und alles ist so sauber. Aber ich hatte auch das Gefühl, mich sehr zurücknehmen zu müssen. Die Musik laut aufzudrehen, das habe ich mich nicht getraut."

Protokoll: Verena Töpper


Foto: Katie Thompson

KI-Experte Richard Socher, 40,
aus Deutschland bevorzugt das Silicon Valley als Start-Up-Standort.

"Nach meinem Informatikstudium wollte ich unbedingt an künstlicher Intelligenz forschen - und zwar mit den besten Wissenschaftlern der Welt an einer Top-Universität. Ich bin in Dresden aufgewachsen, habe in Leipzig studiert und war am Max-Planck-Institut in Saarbrücken, gute Standorte mit guten Leuten. Aber nach meinem Master habe ich auf die Uni-Ranglisten geschaut und fand leider keine deutsche Hochschule in den Top 10. Mir wurde schnell klar, dass ich in die USA muss. Dort sind die Spitzen-Unis für Doktoranten, dort sind alle Wissenschaftler, die in der KI-Forschung am häufigsten zitiert werden und die Professoren, deren Schüler später die erfolgreichsten Karrieren haben.

Man kann diese Uni-Ranglisten kritisieren, aber viele internationale Studenten und Fachkräfte richten sich danach. Es ist ein Problem für den Standort Deutschland, dass der Bund nicht klar sagt: Wir wollen eine Uni in den Top 10 haben. Wenn gefördert wird, wird die Summe wegen des Föderalismus auf 16 Länder verteilt. Dann kommt aber leider keine Top-Uni heraus.

"In den USA sind mehr Menschen bereit, auch während einer guten Karriere Neues zu wagen."
Richard Socher

Ich bin schließlich nach Stanford zu Christopher Manning und Andrew Ng gegangen, beide sind Koryphäen der KI-Forschung. Kurz nachdem ich angekommen war, habe ich Chris meine Idee vorgeschlagen: Neuronale Netze für Sprachverabreitung zu nutzen. Diese Idee ist heute allgegenwärtig, war jedoch damals verpönt. Er hat gesagt: "Ich habe damit noch nie gearbeitet, aber ich kann es mit dir lernen."

Diese Offenheit hat mich beeindruckt, in Deutschland sehe ich sie weniger oft. In den USA sind mehr Menschen bereit, auch während einer guten Karriere Neues zu wagen. Und sie wagen es, in Innovationen zu investieren. In Kalifornien erhielt ich schon während meines Doktorstudiums mehrere Millionen Dollar Wagniskapital für mein erstes Start-Up von einem Venture Capital Fonds.

Heute investiere ich mit meinem Fonds selbst in Start-ups, die meisten sind in den USA, manche aber auch in Deutschland. Ich kann mir kaum vorstellen, wieder zurückzugehen. Meine Partnerin, meine Mitarbeiter und die meisten meiner Freunde leben hier. Und meinem großen Hobby, dem Para-Motorfliegen, kann ich auf dem Land in Kalifornien auch besser nachgehen. Ich darf hier mit meinem motorisierten Paraglider einfach aus meinem Garten abheben, in Deutschland müsste ich von einem kleinen Flughafen starten. Und die besonders coolen Flüge über Wälder, Klippen oder durch alte Steinbrüche, die ich hier mache, wären in meiner alten Heimat schlicht verboten."

Protokoll: Max Hoppenstedt


Foto: Privat

Digitalnomadin María Emilia Rebollo Zanazzi, 39,
aus Argentinien wird von hohen Mieten abgeschreckt.

"Ich habe 2017 in Deutschland gelebt, damals habe ich drei Monate mit einem Stipendium im Berliner Büro der internationalen spanischsprachigen Nachrichtenagentur EFE gearbeitet. Durchs Land gereist bin ich auch, es hat mir gut gefallen. In Argentinien sehen viele Deutschland als ein Land der Möglichkeiten, auch wenn man manche Dinge in Kauf nehmen muss, etwa die Kälte.

Ich hätte mir auch vorstellen können, länger zu bleiben. Aber ich glaube, um sich in Deutschland zu integrieren, ist die Sprache entscheidend. Und Deutsch ist nicht leicht. In meinem Sprachkurs haben wir unglaublich lange Worte gelernt. Das größte Problem war: Der wichtigste Arbeitgeber - der spanische Dienst der Deutschen Presseagentur - hat damals viele Büros geschlossen.

Heute leben mein Partner und ich als digitale Nomaden, zurzeit arbeiten wir von den Kanaren aus. Wir hätten Interesse daran, nach Deutschland zurückzukehren, aber die Mietpreise sind enorm gestiegen, das ist ein ziemliches Hindernis. Ich habe schon damals für eine kleine Wohnung in Berlin-Friedrichshain 700 Euro bezahlt. Heute sind die Preise unbezahlbar. Um ohne Job dorthin zu ziehen, brauchst du eine sehr gute Basis an Erspartem. In Deutschland zu arbeiten, können wir uns nicht leisten. Nach Deutschland reisen werden wir aber auf jeden Fall noch mal. Im nächsten Jahr wollen wir den Berlin-Marathon laufen."

Protokoll: David Böcking


Krankenpfleger Ralf Alcaras, 35,
von den Philippinen kam 2016 nach Deutschland. Jetzt zog er nach Texas.

"Ich hätte gerne meine Mutter nach Deutschland geholt, aber das ist kompliziert. Hier in den USA kann man nach fünf Jahren die US-Staatsbürgerschaft beantragen, das ist kein Problem. Außerdem habe ich bessere Aufstiegschancen, muss mich um weniger Patienten kümmern und verdiene schon jetzt das Dreifache. Mein Traum ist es, eines Tages eine eigene Wohnung zu kaufen. Mit dem Gehalt, das ich als Pfleger in Frankfurt am Main bekommen habe, wäre das nicht einfach gewesen.

Ich hatte eigentlich vor, gleich nach meinem Pflegestudium in die USA zu ziehen. Aber dann hörte ich 2013 von diesem deutschen Anwerbeprogramm. Ein Jahr später habe ich mich beworben.

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Meinen ersten Deutschkurs habe ich 2015 noch auf den Philippinen gemacht. Ich dachte, der Start in einem Pflegeheim würde einfach werden. Aber die Sprache und die Kultur waren ein Schock. Ich kannte viele medizinische Begriffe nicht und musste trotzdem vom ersten Tag an voll mitarbeiten, sogar Übergaben zum Schichtwechsel machen, was mich völlig überfordert hat. Nur zum Vergleich: Hier in den USA habe ich eine begleitete Einarbeitungszeit von drei Monaten!

Ich hoffe, dass der Pflegeberuf in Deutschland irgendwann besser anerkannt wird. Dann könnte ich mir eine Rückkehr nach Deutschland vorstellen. Hier in Texas ist es so heiß, dass ich nicht draußen sein will, und die lockeren Waffengesetze und die hohe Kriminalitätsrate machen mir Angst.

Ich vermisse meine Freunde aus Frankfurt, den deutschen Wald und deutsche Brötchen."

Protokoll: Verena Töpper


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